Vom vierten Quartal 2017 bis zum vierten Quartal 2021 stieg der Absatz der Antidepressiva um 5,6 % an
01.05.2022 - Berlin Enners S
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Die COVID-19 Pandemie ging einher mit Gesundheitsschutz-Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des SARS-CoV-2 Virus. Unter anderem schlossen die Maßnahmen Kontaktsperren sowie Quarantänemaßnahmen ein, welche zu sozialer Isolation führen und somit erhebliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung haben können. Einhergehend mit eventuellen Ängsten, die durch die ungewisse pandemische Lage geschürt wurden, kann dies beispielsweise zu Depressionen, Angst- und Schlafstörungen oder Vereinsamung führen sowie vorherig bestehende psychische Erkrankungen verstärken (1). 


Depressionen gehören in Deutschland zu den häufigsten Erkrankungen. Im Laufe eines Jahres erkranken ca. 5,3 Millionen der Erwachsenen (18 bis 79 Jahre) an einer Depression (2). In einer „Deutschland-Barometer Depression“-Sondererhebung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe von Anfang 2021 berichteten 44 % der Befragten mit diagnostizierter Depression von einer Verschlechterung des Krankheitsverlaufs und der Versorgung während der Corona-Pandemie. Die schlechtere Versorgung von psychisch Erkrankten führte bis hin zu Suizidversuchen. Auch in der Allgemeinbevölkerung ohne diagnostizierte psychische Vorerkrankungen führte die pandemische Lage zu einer erhöhten mentalen Belastung. Die Sondererhebung zeigte, dass 71 % aller Befragten die Situation im zweiten Lockdown der Corona-Pandemie als bedrückend empfanden und 46 % ihre Mitmenschen als rücksichtloser erlebten. Jeder dritte sorgte sich um seine berufliche Situation und jeder vierte fühlte sich familiär und sozial stark belastet (3).
Eine internationale Übersichtsarbeit stellte eine Zunahme von Depressionen und Angststörungen im Verlauf der COVID-19 Pandemie um ca. 30 % in Zentraleuropa und -asien fest (4).  Eine Analyse aus Portugal fand während der Corona-Pandemie in fast allen Altersgruppen, ausgenommen von Kindern, einen signifikanten Anstieg der Verschreibungen von Antidepressiva, nach einem initialen plötzlichen Absatzanfall zu Beginn der Pandemie (5).  


Das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut e. V. (DAPI) führte für Deutschland eine Untersuchung der Abgaben von Psychopharmaka in öffentlichen Apotheken durch, die zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet wurden. Eingeschlossen in die Auswertung wurden die Wirkstoffgruppen nach ATC-Code N06A „Antidepressiva“, N05A „Antipsychotika“ sowie N05B „Anxiolytika“. Es wurden die Abgaben der Wirkstoffgruppen sowie einzelner Wirkstoffe in Packungen pro 1.000 GKV-Versicherte ausgewertet.    


Es wurde ein kontinuierlicher Anstieg der Abgaben von Antidepressiva von Q4 2017 bis Q4 2021 (+ 5,6 %, von 73,7 Packungen pro 1.000 GKV-Versicherte in Q4 2017 bis auf 77,9 in Q4 2021) und der Antipsychotika (+ 6,6 %, von 43,0 in Q4 2017 bis auf 45,8 in Q4 2021) beobachtet. Konträr hierzu fielen die Absätze der Anxiolytika von Q4 2017 bis Q4 2021 kontinuierlich (- 11,5 %). [Grafik]


Ein leichter Abfall war im Verlauf in Q2 2020 in der Gruppe der Antidepressiva auf 68,3 Packungen pro 1.000 GKV-Versicherte zu erkennen. Ein Abfall wies auch die Gruppe der Antipsychotika auf 42,1 Packungen pro 1.000 GKV-Versicherte auf, wenn auch weniger ausgeprägt als bei den Antidepressiva. Q2 2020 war der Zeitpunkt der ersten Restriktionen bezogen auf das öffentliche und private Leben in Deutschland im Zuge der COVID-19 Pandemie. Damit einhergehend kam es eventuell auch zu einem verminderten Aufsuchen von Ärztinnen und Ärzten, sodass ein Abfall der Abgaben während dieser Zeit plausibel erscheint. Diese Beobachtung ist analog zu dem initialen Abfall der Verordnungen in Portugal; auch Untersuchungen der gesamten Arzneimittelabgaben in Deutschland wiesen in diesem Zeitraum einen deutlichen Absatzabfall auf (5, 6). In dem Zeitraum nach den ersten Lockerungen der Restriktionen stiegen die Abgaben wieder an. 


Ein Anstieg der Antidepressiva war insbesondere bei dem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Escitalopram zu sehen. Während in Q4 2017 4,5 Packungen pro 1.000 GKV-Versicherte abgegeben wurden, stiegen die Abgaben auf 6,8 Packungen im Q4 2021. In der Gruppe der Antipsychotika wies neben Pipamperon und Risperidon vor allem Quetiapin einen Absatzanstieg von 8,7 in Q4 2017 auf 10,7 Packungen pro 1.000 GKV-Versicherte in Q4 2021 auf.  


Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass seit 2017 ein kontinuierlicher Anstieg der Verschreibungen von Antidepressiva und Antipsychotika stattgefunden hat. In den Pandemie-Jahren 2020 und 2021 kam es zu einem weiteren Anstieg der Abgaben, dieser verlief aber nicht auffällig im Vergleich zu den Anstiegen der vergangenen Jahre. Die Auswertung gibt also keine Hinweise auf einen vermehrten Gebrauch von Psychopharmaka während der Pandemie.
 


(1)    Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. Soziale Isolation kann psychisch krankmachen. Pressemitteilung 27.05.2020. www.dgppn.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2020/soziale-isolation.html Letzter Zugriff 06.04.2022
(2)    Jacobi et al. (2016). Erratum zu: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul „Psychische Gesundheit“ (DEGS1-MH). Nervenarzt, 87,88–90. 10.1007/s00115-015-4458-7. 
(3)    Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Deutschland Barometer – Sondererhebung.   www.deutsche-depressionshilfe.de/forschungszentrum/deutschland-barometer-depression/id-2021
(4)    COVID-19 Mental Disorders Collaborators. Global prevalence and burden of depressive and anxiety disorders in 204 countries and territories in 2020 due to the COVID-19 pandemic. Lancet. 2021;398:1700–1712. (https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)02143-7)
(5)    Estrela M, Silva TM, Gomes ER et al. Prescription of anxiolytics, sedatives, hypnotics and antidepressants in outpatient, universal care during the COVID-19 pandemic in Portugal: a nationwide, interrupted time-series approach J Epidemiol Community Health. 2022;76:335–340.
(6)    Enners S, Gradl G, Kieble M, Böhm M, Laufs U, Schulz M. Utilization of drugs with reports onpotential efficacy or harm on COVID-19 before, during, andafter the first pandemic wave. Pharmacoepidemiol Drug Saf. 2021;30(11):1493–1503. doi.org/10.1002/pds.5324