(AU) Rat & Hilfe - "Häufig unterschätzt!"
16.02.2011 - Apotheken Umschau, S. 38-39.
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Interview: Die Anwendung von Arzneimitteln ist kompliziert und bedarf vielfach einer Erläuterung durch den Apotheker.

Allein aufgrund seiner Darreichungsform ist jedes dritte vom Arzt verschriebene Medikament beratungsbedürftig – unabhängig vom Wirkstoff. Dies ermittelte das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) anhand von Rezeptdaten.

Die Apotheken Umschau sprach mit Apotheker Dr. Andreas Kiefer, dem stellvertretenden Vorsitzenden des DAPI, darüber, warum sich jeder Patient die richtige Anwendung vom Apotheker erklären lassen sollte.

Herr Dr. Kiefer, was macht das Einnehmen von Medikamenten so kompliziert?
Arzneimittel werden oft unterschätzt. Pharmahersteller entwickeln die Darreichungsformen ständig weiter, sodass viele Medikamente inzwischen echte "Hightech-Präparate" sind.

Es ist einfach, eine Kopfschmerztablette zu schlucken. Schwieriger wird es, wenn ein Patient sich selbst Insulin oder Heparin spritzen muss. Auch der Umgang mit einem Pulverinhalator ist nicht leicht. Hinzu kommt, dass Patienten es meist gar nicht bemerken, wenn sie ihr Arzneimittel falsch anwenden oder lagern. Dies kann aber die Wirkung verändern oder zu Nebenwirkungen führen. Nur die richtige Anwendung von Medikamenten gewährleistet eine optimale Wirkung.

Muss der Apotheker den Patienten darüber informieren, wie sein Medikament richtig angewendet wird?
Er muss es, und er will es auch! Der Apotheker ist also zunächst in der Bringschuld: Er ist dazu verpflichtet, sich zu vergewissern, ob der Patient verstanden hat, wie er sein Arzneimittel einnehmen oder anwenden soll.

Viele Patienten sind allerdings zu zurückhaltend, um nachzuhaken, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Ich kann Ihre Leser daher nur dazu motivieren, bei der Beratung genauer nachzufragen und dem Apotheker ihre Ängste und Nöte mit Arzneimitteln zu offenbaren.

Die meisten Fehler werden beider Einahme von Tabletten gemacht. Was geht am häufigsten schief?
Nicht alle festen Arzneiformen sind zum Schlucken gedacht. Manche Tabletten sollen im Mund zerfallen oder sich unter der Zunge oder in der Wangentasche auflösen. Der Wirkstoff gelangt dann schneller in die Blutbahn. Dies gilt auch für Zerbeißkapseln, die in der Regel als Notfallmedikamente im Einsatz sind.

Die meisten Fehler sind allerdings nicht auf irrtümliches Schlucken von Tabletten zurückzuführen, sondern auf unerlaubtes Teilen. Bevor ein Patient eine Tablette zerbricht, sollte er sich immer vergewissern, ob dies überhaupt erlaubt ist. Nicht erlaubt ist zum Beispiel das Halbieren von Tabletten mit speziellem Überzug, der dafür sorgt, dass der Wirkstoff langsamer freigesetzt wird.

Woran erkennt man, ob eine Tablette geteilt werden darf?
Ein wichtiger Hinweis sind Bruchrillen. Allerdings gibt es auch Schmuckkerben, die nur der besseren Unterscheidung verschiedener Tabletten dienen. Im Zweifelsfall sollte man also besser den Apotheker fragen und den Beipackzettel lesen.

Übrigens ist auch das Zerteilen als solches nicht unproblematisch: Oft sind die entstehenden Teile unterschiedlich groß, oder es springen Bruchstücke weg, wenn Druck ausgeübt wird. Besonders ältere Menschen oder Rheumapatienten tun sich mit dem Teilen schwer. Auf Nachfrage bieten daher viele Apotheken das Tablettenteilen als Serviceleistung an.

Auch Mittel zum Spritzen sind offenbar trotz Applikationshilfen nicht so leicht zu handhaben. Warum?
Oft sind die Patienten unsicher. Diabetiker, die sich ständig Insulin spritzen müssen, sind in der Regel gut geschult. Dagegen fehlt Patienten, die sich nur kurzfristig ein Medikament injizieren sollen, die Erfahrung. Sie sollten sich daher unbedingt vom Apotheker die richtige Spritztechnik zeigen und über die häufigsten Anwendungsfehler aufklären lassen.

Beispielsweise müssen viele Wirkstoffe zum Spritzen kühl gelagert werden. Auch die Hygiene spielt eine große Rolle, da das Arzneimittel steril bleiben muss.

Wie erklärungsbedürftig sind Präparate zum Inhalieren?
Eine Studie ergab, dass 79 Prozent der Patienten, die Wirkstoffe inhalieren, Fehler machen. Das ist schlimm, weil die Arznei so nicht in ausreichender Menge an den Wirkort kommt.

Nach der ersten Beratung in der Apotheke gebrauchten übrigens nur noch 28 Prozent ihr Spray oder Aerosol falsch. Oft hapert es daran, dass der Kopf beim Inhalieren nicht nach hinten geneigt wird. Auch inhalieren viele Patienten zu schnell und zu flach. Je mehr wir mit den Betroffenen sprechen, umso genauer erfahren wir, was sie Unvorhergesehenes mit ihren Arzneien machen.

Interview: Dr. Luitgard Marschall

Nicht ohne Beratung
Fast jedes dritte Medikament, das im Jahr 2009 zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben wurde, war beratungsbedürftig, ergab die DAPI-Studie.

Magensaftresistente Kapseln und Tabletten stellen die größte Gruppe beratungsbedürtiger Präparate dar. Was Patienten oft nicht wissen: Arzneien mit verzögerter Wirkstoff-Freisetzung sind meist nicht teilbar.

Arzneimittel zur Injektion folgen auf dem zweiten Platz. Sie erfordern konkrete Hinweise zur richtigen Handhabung sowie zur Lagerung und Hygiene.

Medikamente zum Inhalieren nehmen Platz drei ein. Ihre anspruchsvolle Applikationstechnik führt oft zu fehlerhaften Anwendungen.