Der Absatz des Diuretikums Chlortalidon hat sich im Zeitraum 2017 bis 2020 mehr als vervierfacht
01.02.2022 - Berlin Kieble M
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Zu Behandlung der arteriellen Hypertonie werden in den europäischen Leitlinien unverändert fünf Medikamentenklassen gleichberechtigt zur antihypertensiven Therapie empfohlen [1, 2]. Hierzu zählen auch Diuretika, insbesondere Thiazide und Thiazid-ähnliche Diuretika (TZ-Diuretika). Das in Deutschland am häufigsten eingesetzte Diuretikum ist Hydrochlorothiazid (HCT), welches sich vielfach in Zwei- oder Dreifach-Fixkombinationspräparaten zur Blutdrucksenkung findet. Im Oktober 2018 wurden in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Sicherheitsbedenken in Form eines Rote-Hand-Briefes im Hinblick auf das Risiko von nichtmelanozytärem Hautkrebs bei Einnahme von HCT-haltigen Arzneimitteln geäußert [3].
Im Jahr 2020 veröffentlichte das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut e.V. (DAPI) in Kooperation mit der Klinik für Innere Medizin III des Universitätsklinikums des Saarlandes eine Auswertung zur Auswirkung des Rote-Hand-Briefes auf die Verschreibungen von HCT und anderer TZ-Diuretika im Jahr 2019 [4]. Bei der Betrachtung der Wirkstoffe wurden jeweils alle Mono- und Kombinationspräparate eingeschlossen. Während der Absatz von HCT nach Veröffentlichung des Rote-Hand-Briefes deutlich zurückging, kam es zu einem sprunghaften Absatzanstieg an Präparaten mit den alternativen TZ-Diuretika Chlortalidon und Indapamid, welcher allerdings den Rückgang im Absatz an HCT nicht annähernd ausgleichen konnte. Der daraus resultierende Absatzrückgang bei allen TZ-Diuretika legte die Vermutung nahe, dass bei nicht wenigen Patienten HCT abgesetzt wurde ohne ein anderes Diuretikum zu verordnen. Lieferengpässe bei Chlortalidon- und Indapamid-haltigen Arzneimitteln erschwerten damals die nachhaltige Verordnung dieser Arzneimittel. 
In einer aktuellen Analyse hat das DAPI den weiteren Verlauf der Abgaben von TZ-Diuretika analysiert. Dabei wurden wiederum sowohl Mono- als auch Fixkombinationspräparate, die die jeweiligen TZ-Diuretika beinhalten, eingeschlossen. Ausgewertet wurde die Anzahl an in öffentlichen Apotheken abgegebenen Packungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung pro Quartal sowie pro Jahr von 2017 bis 2020. 
Im Jahr 2019 wurde ein Rückgang im Absatz von HCT (16,6 Mio. Packungen) im Vergleich zum Vorjahr (21,0 Mio. Packungen) beobachtet. Dieser setzte sich, wenn auch geringer ausgeprägt, im Jahr 2020 (15,0 Mio. Packungen) fort. Die entsprechenden Quartalswerte sind der Grafik (Teil a.) zu entnehmen. Die Absätze der beiden alternativen TZ-Diuretika Chlortalidon und Indapamid zeigten hingegen eine ungebremst starke Zunahme von 2017 bis 2020 um den Faktor 4,1 bei Chlortalidon (2017: 0,25 Mio.; 2020: 1,04 Mio. Packungen) und um den Faktor 2,5 bei Indapamid (2017: 0,46 Mio.; 2020: 1,17 Mio. Packungen) (siehe Grafik Teil b.). Bei Chlortalidon war die Absatzsteigerung beschränkt auf das Monopräparat (Hygroton®). Bei Indapamid war ein Anstieg sowohl bei den Monopräparaten als auch bei den beiden Fixkombinationen mit Perindopril sowie Perindopril + Amlodipin zu beobachten, wobei der Anstieg bei den Monopräparaten mit Abstand am stärksten ausfiel. 
Damit reduzierte sich der Marktanteil von HCT an allen TZ-Diuretika von 93,5 % im Jahr 2017 auf 83,0 % im Jahr 2020. Bei Betrachtung aller Diuretika-Wirkstoffe belegte HCT im Jahr 2020 nach wie vor Platz eins der am häufigsten verordneten Diuretika vor dem Schleifendiuretikum Torasemid, welches seit Jahren im Absatz zulegt (2017: 10,6 Mio. Packungen; 2020: 12,6 Mio.).


[1] Williams B, Mancia G, Spiering W, Agabiti Rosei E, Azizi M, Burnier M, et al. 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J. 2018;39(33):3021–104. 

[2] Mahfoud F, Böhm M, Bongarth CM, Bosch R, Schmieder RE, Schunkert H, et al. Kommentar zu den Leitlinien (2018) der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und der Europäischen Gesellschaft für Hypertonie (ESH) für das Management der arteriellen Hypertonie. Internist. 2019;60(4):424–30.

[3] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Hydrochlorothiazid – Risiko von nichtmelanozytärem Hautkrebs (Basalzellkarzinom [Basaliom]; Plattenepithelkarzinom der Haut [Spinaliom]); Rote-Hand-Brief 17. Oktober 2018.

[4] Mahfoud F, Kieble M, Enners S, Werning J, Laufs U, Millenaar D, Böhm M, Kintscher U, Schulz M: “Dear Doctor” warning letter (Rote-Hand-Brief) on hydrochlorothiazide and its impact on antihypertensive prescription. Dtsch Arztebl Int. 2020;117(41):687–8. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0687