Nur 10,9 % aller verordneten Antihypertensiva im Jahr 2020 waren Fixdosiskombinationspräparate
01.06.2022 - Berlin Kieble M
Foto: ABDA

Die arterielle Hypertonie ist die häufigste chronische Erkrankung und der wichtigste Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Schlaganfall oder Herzinfarkt [1]. Die gemeinsam von der „European Society of Hypertension“ (ESH) und der „European Society of Cardiology“ (ESC) entwickelten europäischen Leitlinien zum Management der Hypertonie geben u. a. Empfehlungen zur medikamentösen Therapie und wurden zuletzt im Jahr 2018 aktualisiert [2]. Eine bedeutsame Änderung war die Empfehlung einer Zweifach-Kombinationstherapie als sog. Fixdosiskombination (FDC) bereits ab Therapiebeginn für die meisten Patienten. Mit dem Ziel eines effektiven und zugleich unkomplizierten Behandlungsschemas konnte durch den Einsatz von FDCs gezeigt werden, dass sich u. a. die Therapietreue und damit die Blutdruckkontrolle verbessern [3]. Auch im aktuellen Medikationskatalog Hypertonie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, welcher Vertragsärzte bei einer evidenzbasierten, sicheren und wirtschaftlichen Verordnungsentscheidung unterstützen soll, werden einige FDCs als Standardbehandlung gelistet [4]. 

Das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut e. V. (DAPI) hat anhand von Abrechnungsdaten der Jahre 2016 bis 2020 ausgewertet, ob sich die neuen Empfehlungen im ärztlichen Verschreibungsverhalten widerspiegeln. Hierfür wurden alle antihypertensiven FDCs, die auf dem deutschen Markt verfügbar waren [5], in die Analyse eingeschlossen. Ausgewertet wurde die Anzahl der in öffentlichen Apotheken zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgegebenen Packungen pro Jahr und Quartal (Q).
FDCs machten im Jahr 2016 15,4 % und im Jahr 2020 nur noch 10,9 % bezogen auf alle Antihypertensiva aus. Während der Absatz aller Bluthochdruckmittel im Auswertungszeitraum leicht zunahm (2016: 143,8 Mio., 2020: 153,2 Mio. Packungen), sanken die Abgaben von FDCs von 22,2 Mio. Packungen im Jahr 2016 auf 16,6 Mio. Packungen im Jahr 2020 (siehe Grafik a). 

Ein deutlicher Unterschied im Zeitverlauf war zu beobachten bei FDCs mit und ohne Hydrochlorothiazid (HCT). HCT-haltige FDCs hatten insbesondere ab Ende 2018 einen beträchtlichen Rückgang im Absatz zu verzeichnen (Q1 2016: 4,7 Mio., Q4 2018: 4,1 Mio., Q4 2020: 3,1 Mio. Packungen) (siehe Grafik b). Hintergrund dürfte vor allem ein im Oktober 2018 veröffentlichter Rote-Hand-Brief sein, in dem Sicherheitsbedenken im Hinblick auf das Risiko von nichtmelanozytärem Hautkrebs bei Einnahme von HCT-haltigen Arzneimitteln geäußert wurden [6]. Da der Marktanteil von HCT-haltigen FDCs in Deutschland sehr hoch war (2016: 85,2 %; 2020: 75,1 % an allen FDCs), ist dies einer der Hauptgründe für den generellen Rückgang des Absatzes von FDCs. 

Auf der anderen Seite konnte ab dem 4. Quartal 2018 ein geringer Absatzanstieg bei FDCs ohne HCT beobachtet werden (Q4 2018: 0,9 Mio., Q4 2020: 1,1 Mio. Packungen), insbesondere bei ACE-Hemmern oder Angiotensin II Rezeptorblockern (Sartanen) in Kombination mit Calciumkanalblockern. Diese Kombinationsprodukte werden in den Leitlinien als gleichwertig zu FDCs mit ACE-Hemmern/Sartanen und Diuretika als bevorzugtes Therapieregime empfohlen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zwei Jahre nach der Veröffentlichung der europäischen Leitlinien im 2018 nur 10,9 % der verordneten Antihypertensiva Kombinationsprodukte waren. Die aktuelle Leitlinienempfehlung zur Pharmakotherapie bei Bluthochdruck spiegelt sich somit nur unzureichend in der ärztlichen Verschreibungspraxis wider.

Weitergehende Informationen sind der Original-Publikation, welche in Kooperation mit der Klinik für Innere Medizin III des Universitätsklinikums des Saarlandes, der Klinik und Poliklinik für Kardiologie des Universitätsklinikum Leipzig und der Charité – Universitätsmedizin Berlin entstanden ist, zu entnehmen [https://www.dapi.de/publikationen/use-of-fixed-dose-combination-antihypertensives-in-germany-between-2016-and-2020-an-example-of-guideline-inertia; 7].


[1] Mahfoud F, Böhm M, Bongarth CM, Bosch R, Schmieder RE, Schunkert H, et al. Kommentar zu den Leitlinien (2018) der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und der Europäischen Gesellschaft für Hypertonie (ESH) für das Management der arteriellen Hypertonie. Internist. 2019;60(4):424–30.
[2] Williams B, Mancia G, Spiering W, Agabiti Rosei E, Azizi M, Burnier M, et al. 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J. 2018;39(33):3021–104. 
[3] Parati G, Kjeldsen S, Coca A, Cushman WC, Wang J. Adherence to single-pill versus free-equivalent combination therapy in hypertension: a systematic review and meta-analysis. Hypertension. 2021;77:692–705
[4] Kassenärztliche Bundesvereinigung. Medikationskatalog 2022 Hypertonie. 2022. www.kbv.de/html/medikationskatalog.php Accessed 09 May 2022. 
[5] Kieble M, Enners S, Schulz M. Fixkombinationen von Antihypertensiva auf dem deutschen Markt - Fixkombinationen von ACE-Hemmern, Angiotensin-II-Rezeptorblockern, Betablockern, Calciumkanalblockern und Diuretika zum Stand 15.06.2021. 2021. www.dapi.de/publikationen/fixkombinationen-von-antihypertensiva-auf-dem-deutschen-markt-fixkombinationen-von-ace-hemmern-angiotensin-ii-rezeptorblockern-betablockern-calciumkanalblockern-und-diuretika-1 Accessed 09 May 2022.
[6] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Hydrochlorothiazid – Risiko von nichtmelanozytärem Hautkrebs (Basalzellkarzinom [Basaliom]; Plattenepithelkarzinom der Haut [Spinaliom]); Rote-Hand-Brief 17. Oktober 2018.
[7] Mahfoud F, Kieble M, Enners S, Kintscher U, Laufs U, Böhm M, et al. Use of fixed dose combination antihypertensives in Germany between 2016 and 2020: an example of guideline inertia. Clin Res Cardiol. 2022 Feb 27. doi:10.1007/s00392-022-01993-5