Im Jahr 2020 wurden bei 234 Tsd. in Apotheken abgegebenen Packungen von Antiparkinsonmitteln pharmazeutische Bedenken geltend gemacht
01.10.2021 - Berlin Kieble M
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Die Parkinson-Krankheit ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung, von der im Jahr 2015 in Deutschland schätzungsweise etwa 400.000 Menschen betroffen waren [1] und die durch ein Absterben Dopamin produzierender Nervenzellen ausgelöst wird. Zwar ist eine ursächliche Behandlung der Krankheit bislang nicht möglich, jedoch lassen sich typische Symptome oftmals über Jahre gut kontrollieren. Als medikamentöse Therapie stehen neben dem Wirkstoff Levodopa weitere Arzneimittelklassen wie Dopaminrezeptor-Agonisten, Catechol-O-Methyltransferase(COMT)-Hemmer oder Monoaminoxidase-B(MAO-B)-Hemmer zur Verfügung, welche einzeln oder in Kombination eingesetzt werden können. Da die Ausprägung und der Verlauf der Erkrankung sowie die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Arzneimittel je nach Patient sehr unterschiedlich sein können, ist eine patientenindividuelle Einstellung der Arzneimitteltherapie notwendig [2].
Gemäß Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V sind Apotheker verpflichtet, vorrangig preisgünstige Arzneimittel oder Arzneimittel, für die es einen Rabattvertrag zwischen Krankenkasse und Hersteller gibt, abzugeben (Aut-idem-Regelung). Dies resultiert bei nicht wenigen Patienten in einem Präparatewechsel, insbesondere wenn es zu Änderungen in den Rabattverträgen kommt. Da bei vielen Parkinson-Patienten die Medikation komplex ist und es sich zusätzlich oft um ältere, multimorbide Personen handelt, kann ein Präparatewechsel zu großen Verunsicherungen führen. Gleichzeitig steigt die Gefahr der Non-Adhärenz und der Therapieerfolg ist gefährdet. Aus diesen Gründen gab es seitens der Fachverbände und von Betroffenen Bemühungen, die Aut-idem-Regelung für Antiparkinsonmittel auszusetzen, welche aber bislang vergeblich geblieben sind [3]. Um in therapeutisch gut begründbaren Fällen trotzdem einen Präparateaustausch gegen rabattierte Produkte zu verhindern, haben Ärzte die Möglichkeit auf der Verordnung das „Aut-idem-Kreuz“ zu setzen. Apotheker können darüber hinaus pharmazeutische Bedenken auf dem Rezept geltend machen und so ebenfalls einen bedenklichen Austausch verhindern.
Das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut e. V. (DAPI) hat anhand von Abrechnungsdaten des Jahres 2020 ausgewertet, wie häufig Antiparkinsonmittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgeben wurden und wie oft bei diesen Arzneimitteln das „Aut-idem-Kreuz“ gesetzt oder pharmazeutische Bedenken geltend gemacht wurden. Von den 6,0 Mio. abgegebenen Packungen an Antiparkinsonmitteln entfiel mit 3,7 Mio. Packungen ein Großteil (61,3 %) auf die Fixkombination aus Levodopa und Decarboxylasehemmer, gefolgt von den Dopaminrezeptor-Agonisten Pramipexol und Ropinirol mit 0,89 Mio. (14,8 %) bzw. 0,25 Mio. (4,2 %) Packungen (siehe Tabelle).
Insgesamt machten Ärzte bei Antiparkinsonmitteln regen Gebrauch von der Möglichkeit, den Austausch gegen ein rabattiertes Produkt mittels „Aut-idem-Kreuz“ zu verhindern (bei 17,1 % bezogen auf alle abgegebenen Packungen). Anteilsmäßig am häufigsten wurde das „Aut-idem-Kreuz“ beim COMT-Hemmer Tolcapon (24,0 %) und der Fixkombination aus Levodopa und Decarboxylasehemmer (20,7 %) gesetzt. Im Vergleich hierzu wurde im gesamten Fertigarzneimittelmarkt nur bei 7,2 % der Packungen der Aut-idem-Austausch durch Setzen des Kreuzes verhindert.
Pharmazeutische Bedenken wurden anteilsmäßig am häufigsten beim Dopaminrezeptor-Agonisten Piribedil (6,5 %) und bei der Fixkombination aus Levodopa und Decarboxylasehemmer (5,5 %) geltend gemacht. Damit entfielen 87,4 % aller 234,2 Tsd. dokumentierten pharmazeutischen Bedenken bei Antiparkinsonmitteln auf letztgenannte Wirkstoffkombination. Levodopa ist ein biopharmazeutisch problematischer Wirkstoff, für den insbesondere im fortgeschrittenen Krankheitsstadium eine genaue Dosierungseinstellung erforderlich ist [4]. Präparate mit gleichen Aut-idem-Kriterien können zulässige Unterschiede in ihrer Bioverfügbarkeit aufweisen, sodass ein Wechsel zwischen diesen Präparaten zu bedeutsamen Unterschieden im Blutspiegel führen kann [2]. Dies wiederum kann gegebenenfalls vermehrte Nebenwirkungen oder eine unzureichende Wirkung zur Folge haben. Hinzu kommt, dass der zulässige Austausch von dispersiblen versus nicht-dispersiblen Darreichungsformen bei diesem Wirkstoff in vielen Fällen kritisch zu sehen ist, da beide Formen beispielsweise eine unterschiedliche Dauer bis zum Wirkeintritt haben [5].
„Aut-idem-Kreuz“ und pharmazeutische Bedenken stellen somit wichtige Instrumente dar, um die sichere Arzneimittelversorgung von Patienten in begründeten Fällen abweichend von der aus Krankenkassensicht ökonomisch sinnvollen Pflicht zur Substitution mit preisgünstigen bzw. rabattierten Arzneimitteln auf unbürokratische Weise zu gewährleisten.

 

[1] Heinzel S, Berg D, Binder S, Ebersbach G, Hickstein L, Herbst H, Lorrain M, Wellach I, Maetzler W, Petersen G, Schmedt N, Volkmann J, Woitalla D and Amelung V (2018) Do We Need to Rethink the Epidemiology and Healthcare Utilization of Parkinson's Disease in Germany? Front. Neurol. 9:500. doi: 10.3389/fneur.2018.00500
[2] Czeche-Wimmer S, Damer S. Substitution von Fertigarzneimitteln: Möglichkeiten - Grenzen - Pharmazeutische Bedenken. Eschborn: Govi-Verlag Pharmazeutischer Verlag GmbH, 2014
[3] Schersch S. Aut-idem bei Parkinson – Bundesregierung sieht genug Lösungswege. Pharmazeutische Zeitung online. 08.07.2020. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/bundesregierung-sieht-genug-loesungswege-118763/. Accessed 14 Sep 2021
[4] Gensthaler B. Parkinson-Therapie - Wie man Fluktuationen abmildern kann. Pharmazeutische Zeitung online. 11.04.2020. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/wie-man-fluktuationen-abmildern-kann-116879/. Accessed 14 Sep 2021
[5] Henrichsmann M. Optimierung der Pharmakotherapie durch ein erweitertes Medikationsmanagement bei Patienten mit Morbus Parkinson. 2015. https://www.akwl.de/apothekerstiftung/inhalt.php?lid=881 Accessed 14 Sep 2021